142
so verschwindet er ganz um diese Zeit. Die Strahlen der Sonne brechen
sich dann auf so besondere Weise, daß bisweilen die Luftspiegelung der
Seeküsten eintritt und die langen Reihen von Palmen verkehrt erscheinen.
Andere Male gewahrt man nur eine und die andere Baumkrone in den
Dunst der Entfernung gehüllt und von den: Spiegel des mächtigen
Stromes durch eine zitternde Schicht der stark erhitzten Lust geschieden.
Fische und Wasservögel sind verschwunden, nur an den Mündungen
der Nebenflüsse, da, wo große Schlammbänke sich angesetzt haben,
liegen schaarenweise die greulichen Krokodile ausgestreckt, * um sich
zu sonnen.
Wenn die Sonne dem Untergänge nahet, entwickelt sich dieselbe
Scene, wie am frühen Morgen; zum zweiten Male eilen die vielen
Bewohner der Wildniß zu der Tafel, die eine gütige Hand unablässig
für sie besetzt hält. Bisweilen aber wird der Frieden furchtbar unter-
brochen, wenn mit unbeschreiblicher Schnelligkeit ein Ungewitter sich
zusammenballt. Das Geheul der Myketen und der Nachtaffen, der
schrille Ton der Möven und die allgemeine Angst der Thiere verkünden
die Schrecken, noch ehe sie nahen. Geisterhaft rauschen die Baum-
wipfel, während noch kein Lusthauch sich regt, und wie eine warnende
Stimme geht den schwarz herbeiziehenden Massen ein dumpfes Brausen
in den höchsten Regionen voraus. Der Urwald erkracht bald darauf
unter dem orkanartigen Sturme, nachtgleiche Dunkelheit tritt ein, und
während Blitz und Donner unter niederschmetternden Regengüssen sich
ohne Pause folgen, empören sich die Gewässer des Stromes, wie ein
Meer, zu gefahrdrohender Höhe. Indessen, wenn die Natur hier je zu
zürnen scheint, so ist es nur für kurze Zeit. Die Wolken brechen, und
einer bessern Heimath gleich, zu der die Seele vom Irdischen entbunden
auf freier Schwinge sich dereinst erheben wird, strahlt mild und hoff-
nungsreich der Abendhimmel, bis die Nacht friedlich über Strom und
Wald herabsinkt.
Mit der Schnelligkeit des Marannon, die gemeinhin in der trok-
kenen Jahreszeit über vier englische Meilen beträgt, schwamm das Floß
den größten Theil des Tages fort, wohl auch des Nachts, wenn keine
besondern Gefahren zu drohen schienen. Nur um dem allgemeinen Ver-
langen nach einem völlig sorgenfreien Schlummer zu entsprechen, wurde
bisweilen gelandet, wenn gerade ein weitausgedehntes Sandufer (Playa)
sich zeigte. Vorsichtig befestigten wir das Fahrzeug und errichteten in
der Mitte der Wildniß das fröhliche Lager. Gewöhnlich wählt man zu
diesem eine Insel, da die größere Entfernung vom Urwald Sicherheit
vor den Raubthieren verspricht, die oft überschwemmten, pflanzenlosen
Uferstrecken reinlich und luftig sind und einen weiten Ueberblick erlauben.
Der Indier braucht das Brennholz nicht aus weiter Entfernung herbei-
zuschaffen; denn stets setzen sich auf der äußersten Landspitze riesenhafte
Baumstämme fest, die mit den Fluchen Herabkommen, vielleicht später
von Neuem emporgehoben die Reise wiederum antreten, und, obgleich
am Fuß der Anden erwachsen, bestimmt sein können, durch Meeresströ-
mungen ergriffen in den traurigsten Regionen des Nordpols, dem Ein-
gebornen eine Segnung, zu landen. Ost zündet der Indier aus Muth-
willen das gesamte Bollwerk an, und es begiebt sich wohl, daß, wenn
die Gluth in unerwarteter Richtung fortschreitet, die game Gesellschaft
aus das Eiligste zum Fahrzeug entfliehen muß und ihr Glück zu preisen
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wandeln ln den Irrgänaen dieser geheimnißvollen'i Gärten und blicken
mit klugen, forschenden Augen aus dem Dunkel in die Höhe, während
durch die Zweige der Korallenbäume, durch das Dickicht der Gorgonien
und Flabellen die Vögel dieser Haine, die bunten Fische, schwimmen
und wie schwimmende Edelsteine durch den Krystall funkeln. In dem
langen grünen Schattenweg, den das Boot in die Tiefe sendet, und der
die Farbe des Topases annimmt, je näher er dem Boote grenzt, sinken
wie glühende Tropfen die schweren farbigen Muscheln einer Seeschnecke
nieder, die der kühlere Abend von der Oberfläche des Meeres verscheucht
und in die Tiefe verschwinden läßt. A. v. Sternberg.
55. Das Nordlicht.
Wie groß auch immer der Gegensatz des Gewitters und des Nord-
lichts sei: darinnen gleicht sich der Verlauf beider Meteore, daß sich ihre
Spannung zuletzt in einer Lichterscheinung auslöset. Die Form der Licht-
erscheinungen ist freilich sehr abweichend. Nicht dann, wenn wie bei dem
Gewitter dunkle, schwere Massenwolken tief am Himmel schweben, son-
dern wenn in den höhern Regionen sich jene zarten Federwölkchen
(„Schäfchen") zeigen, die so durchsichtig dünn sind, daß sie nur etwa
durch die Bildung eines Hofes um den Mond sich verrathen, darf das
Erscheinen eines 'höher ansteigenden, bis zum höchsten Glanz sich ent-
wickelnden Nordlichtes vermuthet werden. Ein Vorzeichen des Meteors
wird gewöhnlich schon am Morgen vor seinem nächtlichen Ausbruch in
den Unregelmäßigkeiten gefunden, die am stündlichen Gange der Ma-
gnetnadel sich einstellen. Statt der Wetterwolken, aus denen der Blitz
kommt, steigt zuerst ein bräunliches oder violettes Nebelgebilde, durch
welches die Sterne wie durch einen Höherauch hindurchglänzen, am nörd-
lichen Horizont herauf. Bald rundet sich der Nebel, der in den Gegen-
den des höchsten Nordens von heller, weißlicher Färbung erscheint; ein
breiter, hellleuchtender Lichtbogen, erst weiß, dann gelb, wölbt sich über
das Dunkel her, und der Gesamtnmriß der Erscheinung gleicht jetzt
dem Abschnitt einer Kugel, von welcher nur ein Theil sich über den
Horizont hervorhebt, ähnlich einer inr Aufgehen begriffenen, an ihrem
Rande prächtig glänzenden, in der Mitte dunklen Sonnenscheibe. Das
Lichtgewölbe selber bleibt fast keinen Augenblick in gleicher Gestalt und
Farbe, sondern es ist in einem beständigen Aufwallen und schwingenden
Bewegen begriffen; seine Farbe, bald hier, bald dort lebhafter sich ent-
flammend, erhöht sich von dem Violetten und Bläulichweißen zum Gel-
den und Sapphirblauen, zum Roth des Purpurs rmd zum Grün des
Smaragds, und alle diese Farben wechseln und spielen ohne Aufhören
eine in die andere hinüber. So steht der Lichtbogen zuweilen stunden-
lang da, ehe das herrliche Meteor jene höchste Vollendung seiner Fornr
erreicht, zu welcher es sich nur bei sehr starken magnetischen Entladun-
gen erhebt. Es brechen jetzt Strahlen oder Feuersänlen aus dem Umfang
des Lichtgewölbes hervor, welche von ungleicher Länge, meist in gerader,
zuweilen auch in geschlängelter Richtung, oft bis hinan zum Scheitel-
punkt, bis zur Mitte des Himmels steigen. Zuweilen wechseln die Feuer-
strahlen mit schwärzlichen, einein dunklen Rauche gleichenden Streifen
ab, andere Male fehlen diese Begleiter. Bei sehr starken Nordlichtern
brechen Feuersäulen nicht nur aus dem Umfange des breiten Lichtbogens
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artigen Gebilde des leichten Gewölks, die man da und dort in Gegen-
den beobachtet, welche, weit von den Grenzen der eigentlichen Geburts-
stätte der Nordlichter, gegen den Aequator hin liegen, von ähnlicher
magnetischer Wirksamkeit' sind, als die augenfälliger glänzende Erscheinung
des Polarlichtes. G. H. v. Schubert.
56. Der Schnee.
Kein Naturereigniß wird von der Jugend sreudigcr begrüßt, als
der Schnee. Wie jubeln Knaben und Mädchen, wenn sie Morgens beim
Erwachen „Alles weiß" erblicken! Wie freuen sie sich darauf, ins Freie
zu gehen, um den Schlitten zu versuchen oder wenigstens ihre Fußstapfen
in den weichen Teppich zu drücken! Wie drängt es die Knaben, das bild-
sam gewordene Wasser zu Wurfgeschossen und zu Bildsäulen zu ver-
arbeiten!
Ein langersehnter Regen wird mit Dankbarkeit als milde Wohlthat
begrüßt, ein Regenbogen, ein prächtiges Morgen- oder Abendroth wird
als wunderbare Schönheit angestaunt, das herrliche Nordlicht, der wilde
Herbststurm, das majestätische Gewitter werden mit bangem Schauer
beobachtet; aber mit Freudenjubel wird allein der Schnee empfangen,
das milde, heitere Meteor, das Niemanden erschreckt, das auch dem zar-
testen Wesen selten etwas zu Leide thut, das sich so gern zum Spiel-
gefährten der Jugend herabläßt.
Und nicht bloß der Kinderwelt, auch den Erwachsenen ist der Schnee
eine liebe Erscheinung. Ist doch die weiße Hülle nicht ein Sterbekleid,
sondern ein warmhaltendes Bett, das die Natur über Millionen ihrer
Kinder deckt, ein schmückender Teppich, welcher das fahle Braun der ver-
blichenen Wiesen und Felder verhüllt und der Landschaft ein heiteres,
festliches Ansehen verleiht. Ein schneeloser Winter — wie öd' und trau-
rig würde er uns Nordländern erscheinen! Fast so unnatürlich und unschön,
wie ein Frühling ohne Grün!
Der Schneefall ist eins der anziehendsten Naturschauspiele. Stun-
denlang könnte man dein lautlosen Herabrieseln des Luftwassers zusehen
und würde immer Neues erblicken; denn jeder Schneefall hat seine Eigen-
heiten, ja jeder einzelne zeigt in seinen verschiedenen Zeiträumen ein ver-
schiedenes Anssehen. Jetzt spielen ganz einzelne zarte Flöckchen im sanf-
testen Fluge hernieder, in der nächsten Minute fallen größere und dichtere
Flaumen; bald erregt sie ein Lufthauch zu wirbelndem Tanze, daß sie
durcheinander flattern, wie Schwärme weißer Schmetterlinge; dann
fallen sie dichter und dichter, bis sie die Aussicht mit nebelartigem Grau
verschleiern und so massenweise durcheinander wimmeln, daß dem
Beschauer fast schwindelt; aber schon mildert sich das Fortissimo inr zar-
testen Uebergang zum Mezzoforte und sinkt sanft, wie ein getragener
Ton der Menschenstimme, zum verhallenden Pianissimo herab.
Und wie verschieden ist ein Schneefall vom andern! Gestern fielen
die Flocken so einzeln und zögernd, wie die Blüthenblätter des Kirsch-
bauines; heute, „wo Frau Holle ihre Betten schüttelt," tummeln sich die
Federn in wildester Hast, als gelte es einen Wettflug vom Himmel zur
Erde, so daß der Wandersmann Weg und Steg zu verlieren fürchtet
und an den schauerlichen Aschenregen erinnert wird, von welchem Pom-
peji verschüttet wurde; am allerschönsten aber ist der zarte Schneefall,
-
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150
fällt, in unserer Heimath (wo die Regenhöhe. d. i. Schnee und Regen
zusammen, durchschnittlich zwanzig Zoll beträgt) bei weitem nachsteht.
In Frankfurt am Main kommen von der jährlichen Regenmenge von
24 Zoll auf den Winter nur 5 Zoll.
Einer der massenhaftesten Schneefälle, von denen die Witterungs-
kunde berichtet, ereignete sich im Jahre 1741 in New-York, wo sich
binnen zwei Tagen ein Teppich von sechszehn Fuß Höhe bildete. In der
Neuzeit war für Deutschland der Winter 1859/60 der schneereichste; auf
dem Thüringer Walde waren damals einzelne Hütten förmlich zugedeckt
und viele Wege ungangbar; eine Schlittenfahrt auf den Straßen, wo
man durch Ausschaufeln und Schneepflüge Bahn gemacht hatte, erinnerte
an einen eingewinterten Alpenpaß.
Die Ursache, welche einen Schneefall veranlaßt, ist die Begegnung
eines kalten Luftstromes mit einem wärmeren, der mit Wasserdampf mehr
oder weniger gesättigt ist. Je reichlicher die Luft mit Dampf erfüllt ist
und je tiefer die Temperatur des kühlen Luststroms unter der des Dam-
pfes steht, desto ergiebiger fällt der Schnee. Bei strenger Kälte schneit
es selten und stets nur in kleinen Flittern; große Flaumen fallen bloß bei
milderem, windstillem Wetter.
Daß der Schnee nicht eine formlose Masse, sondern ein regel-
mäßiges, an die Krystallformen der Mineralien erinnerndes Gebilde ist,
erkennen selbst die Kinder, wenn sie die an ihren Kleidern haftenden
Flaumen betrachten, welche meist zierlichen Sternen gleichen. Bei
reichlichem Schneefall sind die Krystalle durch Zusannnenstoß mit andern
beschädigt und durch Zusammenkleben mit inehrercn andern unkenntlich;
am deutlichsten und vollkommensten erscheinen sie, wenn es recht zarte
und einzelne Flitterchen schireit. Dann verdienen diese Blüthen des Win-
ters die nähere Betrachtung aller Menschen. Man fängt sie auf einem
Stück dunklen Tuches oder auf einer Schiefertafel, die man gründlich
abgekühlt hat, auf und betrachtet sie in einem kalten Raume. Da
erfreut man sich dann einer wahren Augenweide. Derselbe Grundplan,
nach welchem die Bienenzellen und die Blüthen der Zwiebelgewächse
angelegt sind, das regelmäßige Sechseck, liegt diesen Eisgebrlden zu
Grunde. Vom Mittelpunkte gehn sechs Strahlen unter Winkeln von
sechszig Grad ab — das ist das einfache Grundgesetz, aber wie schön
und reich sind die Variationen, welche der gestaltende Frost über dies
schlichte Thema spielt! Bald ist es ein Stern ohne Körper, dessen sechs
Strahlen einfach, oder gefiedert, oder verästelt und mit allerlei Zierrath
behängen sind, bald eine sechsseitige Scheibe, welche in ihrem Körper
mannigfache Verzierungen und oft an ihrem Rande hübsche Schmuck-
anhängsel trägt. Man wird beim Beschauen dieser niedlichen Bildungen
oft an die gefälligen rosettenähnlichen Formen erinnert, welche das
Kaleidoskop sehen laßt. Scoresby, der sich mit diesen Krystallbildungen,
die schon Kepler bewunderte, tiefer eingehend beschäftigte, bildet in der
Beschreibung seiner Polarmeerfahrten über neunzig Arten von Schnee-
krystallen ab; so vielerlei scheinen zwar in unseren Breiten nicht vorzu-
kommen, indeß ist ihre Mannigfaltigkeit auch hier ansehnlich. Bei jedem
Schneefalle herrscht eine besondere Krystallform vor, so daß es scheint,
als ob die Dampfmenge und die Temperaturverschiedenheit der'beiden
Luftströme ebenso bedingend auf die Erstarrungsart des atmosphärischen
Dampfes wirke, wie sie augenscheinlich bei der Bildung des Fenstereises
TM Hauptwörter (50): [T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer]]
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Extrahierte Personennamen: Scoresby
Extrahierte Ortsnamen: Frankfurt_am_Main New-York Deutschland
151
einwirkt. Schade, daß es den Naturforschern noch nicht gelungen ist,
den Vorgang der Schneebildung durch künstliche Kälte nachzuahmen,
wodurch wir sichere Erklärung der Umstände, unter welchen diese oder
jene Krystallform auftritt, erlangen könnten.
Von der krystallinischen Gestaltung hängen mehrere Erscheinungen
ab, welche Jedermann am Schnee beobachtet.
Zunächst der glitzernde Glanz, durch welchen eine besonnte Schnee-
fläche sich auch vor dem blinkendsten Spiegel eines Flusses hervorthut,
ein Glanz, der zuweilen so grell wird, daß er das Auge empfindlich
blendet und Wanderer, welche in nördlichen Gegenden oder auf Schnee-
feldern der Alpen längere Fahrten machen, zum Aufsetzen einer das Licht
dämpfenden Schneebrille nöthigt. Dieses Glitzern rührt her von der
Spiegelung, welche das Sonnenlicht an den glatten, blanken Flächen
jener Eiskrystallchen erfährt. Ein mit Graupeln bedecktes Feld zeigt nie
einen solchen Glanz, weil die rauhe Oberfläche dieser Schneekugeln keine
regelmäßige Zurückweisung des Lichtes gestattet.
Von der Krystallform des Schnees hängt ferner ab das Geräusch,
welches derselbe unter dem Fuße des Wanderers erzeugt. Bei gelinder
Kälte erzeugt der Fußtritt kaum einen Schall, bei etwa sechs Grad Kälte
knarrt der Schnee unter dem Fuße, bei hoher Kälte (etwa von zehn
Grad ab) kreischt derselbe auf eine widrige Art. Diese Geräusche ent-
stehen durch die Reibung der Schneekrystalle, welche durch den Druck des
Fußes aufeinandergepreßt und zerknirscht werden; sie gleichen also in
ihrer Entstehung dem leise knarrenden Geräusch eines zinnernen Löffels,
dessen Stiel nah am Ohre des Lauschenden gebogen wird.
Die bedeutsamste Folge der Krystallgestaltung ist das Warmhalten
des Schnees. Die mit Zacken und Spitzen besetzten Flocken liegen nicht
dicht gepreßt, sondern locker aufeinander, so daß zwischen ihnen eine
Menge lufthaltiger Lücken übrig bleiben. Dadurch entsteht eine warm-
haltende Decke, welche in ihrer Wirkung einem Federbett ähnelt. Sie
schützt gegen den kalten Wind, hindert die'wärmeausstrahlung des Bodens
und laßt die äußere Kälte nicht in ihrer vollen Strenge zu der Erde
dringen. Auf diese Weise wird die Schneedecke die Erhalterin von Millio-
nen von Pflanzen und Thieren, welche unter dem Federbette der Frau
Holle ihren Winterschlaf halten und sich dabei ebenso leidlich geborgen
fühlen, wie der reisende Polarmensch, der sich mit seinen Hunden eine
Grube in den Schnee wühlt, wenn er gezwungen ist, unter freiem Him-
mel zu übernachten. Ein unter der Schneedecke angebrachtes Thermo-
meter zeigt immer einen weniger tiefen Stand, als ein im Freien hän-
gendes; in Sibirien fand man den Stand von zwei so angebrachten
Thermometern öfter um zwanzig Grad verschieden.
Sonach ist der Schneeteppich nicht bloß ein Schmuck, welcher die
Winterlandschast heiterer und reinlicher erscheinen läßt, sondern zugleich
ein wichtiges Schutzmittel gegen die Gefahren des Frostes, welche die
belebte Natur bedrohen. Vor kahlen Frösten fürchtet sich der um seine
Saaten besorgte Landmann, und wünscht sich einen weißen Winter.
Den Thieren freilich, welche die harte Zeit im Freien überleben müssen,
bringt der Schnee nicht selten Ungelegenheiten, wenn er alle Halme,
Körnchen und Insecten des Bodens mit dichter Decke verhüllt; sie müssen
dann einzelne Blößen oder solche Stellen aufsuchen, wo auf Straßen und
in Dörfern und Städten etwas Eßbares auf dem weißen Tischtuch aus-
TM Hauptwörter (50): [T7: [Erde Luft Sonne Wasser Himmel Berg Tag Licht Wolke Nacht]]
TM Hauptwörter (100): [T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde], T42: [Körper Wasser Luft Blut Mensch Pflanze Haut Tier Speise Stoff], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T92: [Mensch Leben Natur Arbeit Zeit Ding Geist Welt Art Seele], T16: [Ende Körper Strom Bild Hebel Hand Auge Wasser Gegenstand Seite]]
TM Hauptwörter (200): [T24: [Luft Wasser Wärme Körper Erde Wind Regen Höhe Temperatur Schnee], T131: [Licht Erde Sonne Körper Auge Himmel Bild Gegenstand Luft Wolke], T6: [Berg Fuß Höhe Gipfel Gebirge Schnee Meer Fels Ebene See], T83: [Klima Winter Sommer Land Meer Wind Regen Niederschlag Zone Gebirge], T110: [Tag Jahr Stunde Nacht Monat Uhr Zeit Winter Sommer Juni]]
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gestreut liegt, welches an den meisten Orten die Nahrung unzugänglich
machte. Es kann nun einmal nicht allen Wesen dasselbe zuträglich und
angenehm sein.
Weitaus den meisten Geschöpfen ist aber der Schnee eine liebe,
vieles Unangenehme mildernde Zugabe des Winters. Zumal den Polar-
menschen, denen er Baustoff zur Winterwohnung und eine bequeme, fast
die Eisenbahn ersetzende Straße bietet.
Den Bewohnern südlicher Länder Europa's, deren Winter zwar
kurz und mild ist, aber doch einige Tage bringt, an denen man der
wärmenden Kohlenpfanne im Zimmer nicht entbehren kann, wird der
Schnee selten bescheert, aber auch von ihnen als eine freudige Erschei-
nung begrüßt. In Rom, wo es jährlich im Durchschnitt nur anderthalb
Tage lang Schnee giebt, wird den Kindern am Tage dieses seltenen
Ereignisses regelmäßig die Schule freigegeben, damit sie sich belustigen
können; bei uns mögen wohl im Durchschnitt jährlich hundert Tage dem
Schnee gehören, in Petersburg zählt man jahraus, jahrein 171 Schnee-
tage, d. i. fast ein Drittel des ganzen Jahres. Wir Mitteldeutsche, bei
denen im März und April, zuweilen noch im Mai Schneegrillen eintre-
ten, haben als schneefreie Monate bloß den Juni bis September; indeß
soll selbst in dieser Zeit, wo ein Schneefall nicht vorkommt, die Schnee-
bildung nicht ganz aufhören, da nach der Annahme der Naturforscher
die meisten Feoerwölkchen, welche in den Höhen des blauen Himmels
schweben, aus Eisnadeln bestehen.
Wie weit erstreckt sich nun das Gebiet des Schnees? Betrachten
wir zuerst die wenig über den Meeresspiegel erhabenen, ebenen Theile
der Feftlande, so finden wir als ganz schneefreie Continente nur Afrika
und Neuholland, während die größeren Erdtheile ganz oder zum Theil
Schneefalle erfahren. Europa gehört ganz zum Schneegebiete, denn auch
seine südlichsten Theile, wie Palermo und Granada, haben schon zuwei-
len auf Stunden ein weißes Winterkleid getragen, wenn dies auch ein
so seltenes Ereigniß ist, daß es in den'chroniken aufgezeichnet wird.
In Asien, dessen Klima ein continentales ist, sind besonders schneereich
die Hochebenen des Innern, und noch südlich von Kanton kommen
Schneefalle vor. In Amerika reicht die Schneegrenze vom Nordrande
bis zu den südlichen Vereinigten Staaten, also weiter südlich, als in
Europa (in Newyork, das fast auf gleichem Breitengrade mit Neapel
liegt, ist der Rennschlitten jährlich im Gebrauche); in Südamerika dage-
gen ist bloß Patagonien dem Schneefall ausgesetzt.
Wollten wir die Verbreitung des Schnees in unserer Winterzeit
bildlich darstellen, so müßten wir Europa bis an die Alpen weiß grun-
diren und die südlichen Halbinseln lichtgrau färben, weil es hier nur
wenig Schnee giebt; Nordamerika müßte bis zur Grenze der Sklaven-
halterstaaten weiß gefärbt sein.
Wollten wir aber bei unserer Schnee-Umschau auch die höheren,
den Meeresspiegel ansehnlich überragenden Theile der Festlande berück-
sichtigen, so würde die Erdkarte an vielen Punkten weiße Färbung erhal-
ten müssen. Ein Berg eines Landes, das dem Polarkreise nahe liegt
(wie Island), braucht nur etliche tausend Fuß hoch zusein, also Brocken-
höhe zu besitzen, uin nie Regen, sondern stets Schnee als atmosphärischen
Niederschlag zu empfangen; in tropischen Ländern dagegen muß ein sol-
cher Berg dem Montblanc gleichen. Die Linie, welche man sich durch
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TM Hauptwörter (100): [T50: [Klima Land Meer Gebirge Europa Zone Norden Küste Süden Winter], T21: [Schnee Winter Wasser Sommer Berg Regen Luft Boden Land Erde], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T32: [Tag Jahr Monat Mai Juli März Juni April Ende Oktober]]
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Extrahierte Ortsnamen: Rom Petersburg Afrika Europa Palermo Granada Asien Amerika Europa Newyork Neapel Südamerika Europa Nordamerika Island
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nicht hin. Kanin ward in den Spalten und Gründen der Boden bedeckt,
und nur an einigen Stellen ließen die Gottessinger so viel zurück, daß
Fruchtbäume wachsen und Saaten reifen konnten. Je weiter nach Nor-
den, um so geringer ward die Gabe, bis endlich nichts mehr übrig war;
da mußte des Teufels Werk bleiben, wie es gewesen, belastet von dem
Fluche ewiger Unfruchtbarkeit. Aber Gott streckte seine allmächtige Hand
aus, und segnete den verlassenen Boden. Soll keine Blume hier blühen,
kein Vogel singen, kein Halm gedeihen, sprach seine schaffende Stimme,
so soll der böse Geist doch keinen Theil haben an dir. Ich will mich
dein erbarnren und Menschen hier wohnen lassen, die mit Liebe und
Treue an diesen Felsen hängen und glücklich darauf werden sollen. —
Da befahl der Herr den Fischen, daß sie das Meer in ungeheuren
Schwärmen belebten, und oben in die Felsen und Eisfelder setzte er ein
wundersames Geschöpf, halb Kuh, halb Hirsch, das mit Milch und But-
ter, mit Fleisch.und Fell und Sehnen die Menschen nähren und kleiden
mußte.
So, spricht die Sage, sei Norwegen entstanden. Darum sei
das Meer an jenen wilden Küsten so belebt von den schnellen, uner-
meßlichen Schaaren schuppiger Geschöpfe, so sei mitten in den Eiswüsten
das Rennthier auch geschaffen, ohne dessen Hülfe Niemand dort wohnen
könnte. — Aber welche Welt des Schreckens und Schweigens liegt hier
verborgen! Unter welchen Schauern der Schöpfung zittert das Herz des
einsamen Wanderers, wenn er durch diese öden Fjorde und Sunde irrt,
wo das Meer in tausend Labyrinthen, zwischen düstere schnecgekrönte
Felsen in ungangbare Klüfte und Höhlen sich verliert! Welch banges
Staunen begleitet ihn, wenn sein Schiff durch diese Unermeßlichkeit von
Klippen, gigantischen Blöcken und schwarzen granitnen Mauern gleitet,
die einen mehr als dreihundert Meilen langen, furchtbaren Gürtel um
die steinernen Brüste Norwegens schlingen! — Und wenn ein Gott einst
gesagt: „Ich will jene schrecklichen Einöden von Menschen bewohnen
lassen," so hat er diese doch nur spärlich ausstreuen können über das
vergessene Land! Auf Felsen und Sümpfen müssen sie umherziehen,
ewig wandernd mit dem wandernden Rennthiere, das sie nährt; nur in
Buchten und Spalten am Meeresufer können sie einsam und getrennt
wohnen und den Fischen nachstellen, unter tausend Aengsten und Mühen.
Das Land aber kann noch immer keines Mannes feste Wohnung sein.
Tief liegt es unter Sumpf und Eis, in Nebel und Nacht gehüllt, ohne
Baum und Feld, ohne die Hütte des Ackerbauers, ohne das Brüllen sei-
ner Heerde, ohne den milden Segen, der durch den Fleiß der Menschen
und ihre gemeinsame Gesittung entspringt.
So ist es anzuschauen, wenn das Schiff den Hafen, von Dront-
heim verläßt und nördlich steuernd durch die Sunde und Fjorde dringt.
Hinter ihm steigt die Küste hoch auf; die fruchtbaren Plätze verschwinden
darin; immer wildere, nacktere Felsen dehnen sich zu todten Wüsten aus,
bis endlich die unersteiglichen Gletscher von Helgeland aller Bewohnbar-
keit ein Ziel setzen. In die Buchten und Klippen zieht sich dann das
Menschenleben zurück. Dort wohnt der Kaufmann und der Fischer von
normannischem Geschlecht, und neben ihnen haben Damnen und Lappen
sich angesiedelt. Auf den schneeigen Alpen treibt der Waldfinne seine
Milchkühe mit zackigen Geweihen, und wenn er den Wolf und den Bär
jagt, donnert der Knall seiner Büchse aus den düstern Meeresbuchten
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T24: [Schiff Meer Insel Küste Land Fluß See Wasser Hafen Ufer], T38: [Boden Wald Land Wiese Wasser Berg Fluß Feld See Dorf]]
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TM Hauptwörter (200): [T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T185: [Jagd Viehzucht Bewohner Ackerbau Jäger Fischfang Wald Fischerei Krieg Land], T34: [Meer Wasser Land Küste Insel See Flut Fluß Tiefe Welle], T6: [Berg Fuß Höhe Gipfel Gebirge Schnee Meer Fels Ebene See], T175: [Mensch Leben Natur Körper Seele Tier Thiere Arbeit Erde Pflanze]]
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ohne uns zu bemerken. Erst als wir ihm laut zuriefen, blickte er auf,
und als er sah, daß es Fremde waren, erhob er sich und hieß uns
freundlich willkommen. Seit siebenzig Jahren hatte er hier gewohnt,
hier auf dem kleinen Fleck Erde zwischen den Wasserfällen, unter sich
die kochende Maanelf (Mondfluß), über sich das nackte Gebirg mit sei-
nem langen, schrecklichen Winter. So war er ein Greis geworden und
batte nichts vom bunten Menschenleben kennen gelernt. Er machte
kleine Holzarbeiten, Löffel und Geschirr, das er verkaufte. Arm und alt,
wie er war, sah er mild und friedlich aus, ganz zufrieden mit sich und
dem still verbrachten Leben. Er nahm uns die Hoffnung, hier irgend
Pferde zu finden; wir machten uns daher um so schneller auf den Weg
zum rauchenden Boß (Wasserfall); ein Führer schritt uns voran. Gleich
hinter der Hütte des alten Mannes senkte sich der Weg in die Tiefe.
Dort ging es hinab, dann am Rande eines jähen Abhangs hin und
bei ein paar Wasserfällen vorüber, die aus der Felswand in Spalten
stürzten,, über welche glatte, vom Wasser bespülte Balken und Stämme
eine gefährliche Brücke bildeten, die wir indeß kühn überschritten. —
Schon hörte ich in der Ferne ein dumpfes Gebraus, das immer stärker
wurde, je weiter ich vordrang, bis endlich plötzlich der Fall vor uns lag.
Lange stand ich und lehnte an den Büschen von Ellern und Bu-
ken, welche dicht gedrängt an der Senkung wachsen; dann setzten wir
uns am Vorsprunge nieder, um das ganze Bild zu überblicken. — Die
Felsen schließen sich zu einem Kessel; vor uns, links und rechts steigen
hohe, glatte Wände auf, welche fast senkrecht in eine schwindelnde Tiefe
stürzen. Mit scharfen Graten treten diese Wände zusammen, als woll-
ten sie den schwarzen Riß vermauern; aber hoch von oben fällt ein lan-
ger, glänzend weißer Streif herunter, eine rauschende, kochende, zischende
Masse, die klingend an die düstern Felsen schlägt, dort abprallt, dort
aufspritzt und unten, zu Staub zerschmettert, in Dampfwolken wieder
auflodert. Da hat das Auge keinen Ruhepunkt. Fast magnetisch ange-
zogen folgt es dem Sturz der Wasser, die rastlos brausend sich ver-
schlingen und wiedergebären. Staunen und Entsetzen lassen das Herz
schneller schlagen; aber unauslöschlich bleibt die Erinnerung, wie jetzt
durch die Regenwolken ein Sonnenblitz über den ganzen Fall lief. Es
war, als habe die unsichtbare Hand des Allerhalters in jenen schwarzen
Steinen plötzlich ein silbernes Meer geöffnet, das nun in schweren, schmel-
zenden Wellen hervorbrach: so leuchtete es und fuhr in weißen Blitzen
aus. Aber die Myriaden sprühender Funken umglänzten Alles in Regen-
bogenfarben, welche auf- und abzogen, schnell wechselnd sich bildeten
und verschwanden. — Stunden- und Tagelang könnte man hier sitzen
und wieder und immer wieder in dies Gebraus und Leuchten schauen;
denn Wasserfälle und Meereswellen haben durch ihren ewigen Rhythmus
von rauschendem Gehen und Kommen die Macht erhalten, die Seele
des Menschen in Träume zu wiegen und mit wunderbarer Sehnsucht zu
erfüllen. — Solche Wunderwerke sind ein ewig lebendiges Wort Gottes
und machen den fühlenden Menschen gut.
Wir folgten dem Führer nun den steilen Pfad durch das Gebüsch
nieder, wo einige hundert Fuß tief ein Felsenstück wie ein mächtiger
Altan über den Abgrund hinausspringt. Hier muß man stehen! Gerade
gegenüber setzt der Fall herab, und man blickt frei in den engen, finstern
Zauberkreis nieder, den das allmächtige „Werde!" um ihn geschlossen.
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Darin braust und brandet es, da kocht es auf und schäumt und don-
nert bervor. — Aber näher heran bilden die Felsen einen zweiten, grö-
ßeren Kreis; über diesem hängt der lustige Balkon, auf dem du stehst.
Auf deinen Stock gestuft schaust du hinab, und unter dir fünfhundert
Fuß tief bricht der Strom hervor. Der schäumige Schnee schmilzt von
seiner Brust, ersieht zu dir auf mit hellen, rollenden Augen, und rauscht
in seinen blaugrünen, prächtigen Gewändern dahin, erlöst und neu
geboren, in siegesftolzer Freiheit, welche keiner menschlichen Gewalt sich
beugt. — Man schreitet zurück und eilt von Neuem vorwärts; der Blick
hängt sich an diese Zacken und Zinnen. an jeden wilden Busck in der
Tiefe, an den Vogel, der ängstlich entflieht; er folgt dein Steine oder
Baumstamme, den der Führer in den Abgrund schleudert, wo er nach
langein Falle tausendfach zersplittert; es ist. als zöge eine dämonische
Gewalt uns selbst hinab in das brausende Element.
Es begann zu dämmern, als wir vom Riukan zurückkehrten. An
einer einsamen Hütte zwischen den Klippen saß ein Kind, kaum ein Jahr
alt und fast nackt, auf seinem Stühlchen. Mit den großen, blauen Augen
sah es die freniden Männer furchtlos an; die blonden Löckchen hingen nur
seine Stirn so dicht, wie an Engelsbildern. Wir sahen in die Hütte, sie
war leer. Fast gar kein Geräth stand darin, nur im Wiiikel ein ärmliches
Lager. Das Kind saß einsam, und neben ihm ging es in die finstere
Tiefe hinab, wo der Tod auf verirrtes Leben lauert. — Wir legten ihm
Geldstückchen in die kleine Hand; es sah sie gedankenlos an uiid schloß
die Finger. Aber die Eltern werden kommen, das Kindchen herzen und
sich des unverhofften Segens freuen. Th. Mllgge.
63. Konstantinopel.
Stambul ist einer großen Blume vergleichbar, auf drei Seiten
von einein rauhen, unscheinbaren Kelchblatt umgeben, mit welchem es
an den Felsgestaden Rumeliens hängt., während es der aufgehenden
Sonne und den großen, glänzenden Spiegeln, die zwei Meere vor ihm
ausbreiten, das schöne, glühende Antlitz zuwendet. Vor dieses muß man
treten und tief in die königlichen Züge schauen, um jenes Wort Byrons
wahr zu finden,-der in begeisterter Erinnerung an die Herrlichkeit der
Osmanenstadt ausruft: ,„Ich sah Athens geheiligte Räume, Ephesus'
Tempel sah ich und war in Delphi, ich habe Europa durchstreift von
einem Ende zum andern und Asiens schönste Länder besucht; aber nie
erfreute mein Auge ein Anblick, dem von Konstantinopel vergleichbar."^
Das kleine leichte Boot trägt uns spielend aus dem Hafen nach
dem gegenüberliegenden Gestade von Kleinasien; auf einem andern Welt-
theile muß man sich niederlassen. um das großartige Bild, das sich hier
vor den erstaunten Augen entfaltet, mit seiner ganzen Schönheit in's
Herz aufzunehmen.^
Wie Rom ist Konstantinopel auf sieben Hügeln erbaut, / deren
Abgrenzung man deutlich erkennen kann. .> Sie bilden ein unregelmäßiges
Dreieck; aber nur die eine Spitze desselben ist uns sichtbar: das soge-
nannte neue Serail mit seinen buntverzierten Gebäuden, Palästen und
Kiosks. Zwischen denselben sieht man Wälder von Orangen, große
Platanen und schlanke Cypressen./welche die farbigsten Schatten über
diese ungeheure Wohnung der Sultane werfen. Hinter dem neuen
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Extrahierte Ortsnamen: Konstantinopel Stambul Rumeliens Athens Europa Asiens Konstantinopel Kleinasien Rom Konstantinopel
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Serail erblickt man bunte Häusermassen,We den Wellenlinien der Hügel
folgen.^ Dort tritt eine Gruppe von Cypressen und andern Bäumen über
sie hinaus; hier unterbricht ein einsam stehendes, halbverfallenes Mauer-
werk die ffast nur durch ihre Färbung verschiedenen Dächer der Häuser-
reihen. — Was aber der Stadt einen so wunderbaren, ja feenartigen
Reiz verleiht und dem überraschten Beschauer den lauten Freuderuf ent-
lockt, sind die zierlichen Minarets und die Haufen glänzender Kuppeln
auf Moscheen und Grabmälern, ^ die allenthalben emporragen... Man
kann sie kaum zählen, und während das Auge gesättigt über der Mehr-
zahl derselben hinschweift, bleibt es bewundernd an einigen hangen,'-die
durch Größe und schöne Bauart hervorglänzen Mund deren Namen in
empfänglichen Herzen tausend Bilder und Gedanken wecken.
Wer denkt nicht beim Anblick jener prachtvollen Kirche, ^der Aja
Sophia, Die mit ihrer schönen Kuppel und den vier Minarets beinahe
im Mittelpunkte der Stadt liegt F an ihren Erbauer, den prunkliebenden
Zustimmn der in ihr ein Werk hinstellen wollte! welches den Glanz des
Salomonischen Tempels verdunkeln sollte!! Es' gelang ihm. --Doch als
der stolze Bau vollendet war und der Kaiser mit den'worten: „Salo-
mon, ich besiegte dich!" an den Altar eilte, ahnte er wohl nicht, daß
einst der Herrscher der Ungläubigen auf seinem Streitrosse in diese Hallen
ziehen, mit eigner Hand die heiligen Zeichen des christlichen Glaubens
zerschlagen und sprechen werde: „Es ist kein Gott als Allah, und Moha-
med ist sein Prophet!" — Das Kreuz verschwand von der Höhe der
Kuppel, und jetzt erhebt sich dort ein kolossaler ^fünfzig Ellen im Durch-
messer haltender Halbmond,Dder dem Wanderer schon von Weitem über
die Höhe entgegenglänzt, v '
Auf dein dritten der sieben Hügel liegt die Moschee des großen
Suleiman; neben ihr sieht man die Moschee Bajazet des Zweiten mit
zwei Thürmen; weiter rechts die von Mohamed dem Zweitenzauf dem
Platze, wo das christliche Byzanz^einen seiner schönsten Tempel, die Kirche
der heiligen Apostel, erbaut hattez Links von der Aja Sophia zeigt sich
die Moschee des Sultans Achmet; sie ist eines der prächtigsten Gebäude
Stambuls und hat sechs Minarets. Ueber sie alle hinaus ragt der
Thurm der Feuerwache, der Thurm des Seraskiers. Ihn vergleicht der
türkische Geschichtschreiber Isi mit einem in den Lüften schwebenden Neste
des Paradiesvogels.
So liegt Konstantinopel links vor uns, und seine Häuserreihen
steigen bis zu den Ufern des großen Hafens, des goldenen Horns,
hinab, das wir mit allen seinen Schönheiten gerade vor uns haben.
Man verfolgt seinen Lauf von der breiten Einmündung iu's Meer von
Marmora bis Ejub, wo es sich allmählich zwischen den Wiesen zu ver-
lieren scheint. Auf seinem Wasser von der schönsten grünen Farbe ruhen
die Schiffe aller Nationen neben einander. Das alte, sonderbar gebaute
Fahrzeug der syrischen Küstenfahrer, dessen hoher, spitzer Schnabel an die
Bauart der Schiffe im Alterthum erinnert, liegt mit seinem schmutzigen
Anstrich neben der zierlich ausgerüsteten Jacht des Briten. Da ankert
schwerfällig ein türkisches Kriegsschiff, ein zerschossener Invalide, neben
einer leichten, französischen Brigg, die auf und unter dem Verdeck blank
und sauber geputzt ist, mit den hohen Masten hin und her wiegt und
ungeduldig an den Ankerketten zu zerren scheint. Langsam bewegt sich
dort eines jener plump zusammengezimmerten Gerüste, die einem Flosse
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TM Hauptwörter (100): [T76: [Stadt Straße Haus Schloß Kirche Gebäude Mauer Platz Garten Dorf], T77: [Baum Nacht Himmel Wald Tag Gott Kind Vogel Sonne Blume], T28: [Schiff Meer Wasser Land Küste Ufer Insel See Flut Welle], T97: [Stadt Hauptstadt China Reich Land Handel Meer Einw. Türkei Sultan], T13: [Kirche Dom Zeit Bau Denkmal Kunst Tempel Bild Werk Stadt]]
TM Hauptwörter (200): [T0: [Kirche Haus Gebäude Stadt Straße Säule Platz Fenster Seite Palast], T48: [Christ Jerusalem Sultan Mekka Araber Land Jahr Stadt Mohammed Türke], T81: [Herz Himmel Gott Welt Lied Leben Auge Erde Land Nacht], T129: [Schiff Hafen Flotte Meer Küste Fahrzeug See Kriegsschiff Land Dampfer], T102: [Glocke Stimme Wort Hand Auge Ohr Kirche Ton Fenster Herr]]